Warum bürgerlicher Antifaschismus gegen die AfD wichtig ist – und doch den Fokus vom aktiven Antifaschismus verschiebt

Antifaschismus gehört längst zur demokratischen Grundhaltung in Deutschland. Angesichts der Geschichte des Nationalsozialismus, rechter Gewalt und rassistischer Hetze ist die Ablehnung faschistischer Tendenzen gesellschaftlicher Konsens. Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Initiativen betonen regelmäßig, dass antifaschistisches Engagement heute wichtiger denn je sei.
In diesem Kontext steht der bürgerliche Antifaschismus besonders im Fokus. Gemeint ist damit der Einsatz demokratischer und gesellschaftlicher Kräfte gegen den Aufstieg rechter Parteien wie der AfD. Er spielt zweifellos eine wichtige Rolle – denn die AfD trägt dazu bei, Rassismus, Nationalismus und autoritäres Denken wieder salonfähig zu machen. Doch zugleich verschiebt ein zu starker Fokus auf diese Partei den Blick: weg von einem umfassenderen, aktiven Antifaschismus, der über Parteigrenzen hinaus gegen gesellschaftliche Unterdrückung, ökonomische Ausbeutung und soziale Ungleichheit kämpft.
Warum der Kampf gegen die AfD notwendig bleibt

Die AfD hat es geschafft, Themen wie Migration, nationale Identität und Sicherheitsfragen in die gesellschaftliche Mitte zu tragen. Viele Menschen empfinden sie als Hauptgefahr für Demokratie und Menschenrechte – und nicht zu Unrecht. Proteste gegen AfD-Parteitage, Aufklärungsarbeit über ihre Netzwerke und deutliche Gegenrede sind essenziell, um ihre Positionen zu delegitimieren.
Ein solcher Protest wirkt präventiv: Er sensibilisiert gegenüber autoritären und rassistischen Tendenzen und macht deutlich, dass diese in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz haben. Zudem mobilisiert der bürgerliche Antifaschismus breite Schichten der Bevölkerung – von Gewerkschaften über zivilgesellschaftliche Gruppen bis zu Religionsgemeinschaften. Dadurch entsteht ein gesellschaftlicher Schutzschirm gegen rechte Normalisierung.
Doch genau in dieser breiten Anschlussfähigkeit liegt auch das Problem: Der Fokus auf die AfD und oft auch CDU als Hauptgegner können leicht dazu führen, die tieferen Ursachen von Faschismus und rechter Ideologie aus dem Blick zu verlieren.
Wenn Antifaschismus zur Parteipolitik wird
Ein ausschließlich gegen die AfD gerichteter Antifaschismus betrachtet die Partei als Ursprung des Problems. Dabei ist sie vielmehr Symptom – Ausdruck einer Gesellschaft, die mit tiefen sozialen, ökonomischen und kulturellen Krisen ringt.
Diese systemische Perspektive fehlt im bürgerlichen Antifaschismus häufig. Statt soziale Ursachen wie Armut, Ausbeutung oder politische Entfremdung zu thematisieren, konzentriert man sich auf moralische Empörung. Der Kampf gegen Rechts droht so zu einer symbolischen Auseinandersetzung zu werden – einem Ritual, das zwar Haltung zeigt, aber wenig an den materiellen Lebensbedingungen der Menschen ändert.
Soziale Fragen im Schatten der AfD-Debatte
Viele strukturelle Probleme, die rechte Bewegungen erst begünstigen, geraten durch die Fixierung auf die AfD aus dem Blickfeld. Dazu gehören vor allem Armut, wachsende Ungleichheit und die Auswirkungen des Kapitalismus.

Kinderarmut:
In Deutschland lebt jedes fünfte Kind in Armut. Betroffene Kinder haben schlechtere Bildungschancen, leiden häufiger unter gesundheitlichen Problemen und erfahren soziale Ausgrenzung. Ihre Lebensrealität bleibt in vielen politischen Debatten unsichtbar – und wird von rechten Akteuren instrumentalisiert, die vermeintlich einfache Lösungen versprechen.
Menschen in sozialen Sicherungssystemen:
Beziehende von Bürgergeld oder Grundsicherung erleben häufig Stigmatisierung. Sie werden nicht selten als „Sozialschmarotzer“ oder „unproduktiv“ dargestellt – Begriffe, die auch in der Sprache rechter Parteien wiederkehren. Antifaschistische Arbeit muss diese Menschen aktiv einbeziehen, statt sie bloß als Opfer von rechter Hetze zu sehen.
Steigende Mieten und Lebenshaltungskosten:
In Großstädten führen explodierende Mieten und wachsende Lebensmittelpreise zu existenziellen Sorgen. Soziale Verdrängung und Unsicherheit sind wiederum Nährboden für rechte Erzählungen von „denen da oben“ und „den anderen da unten“. Ein Antifaschismus, der diesen Kontext nicht mitdenkt, bleibt oberflächlich.
Kapitalismus als Nährboden autoritärer Ideologien

Kapitalismus ist mehr als ein Wirtschaftssystem – er prägt gesellschaftliche Beziehungen, Lebensrealitäten und politische Konflikte. Er basiert auf Konkurrenz, Profitstreben und Ungleichheit. Damit schafft er genau jene Bedingungen, in denen autoritäre und nationalistische Ideologien gedeihen können.
Faschistische Bewegungen sind historisch gesehen nie unabhängig vom ökonomischen Kontext entstanden. Sie stabilisieren Machtverhältnisse, wenn die bestehenden Institutionen unter Druck geraten. Auch heute kanalisiert die AfD soziale Frustrationen, die aus neoliberalen Krisen und wachsender Unsicherheit entstehen.
Ein Antifaschismus, der den Kapitalismus nicht kritisiert, bleibt daher reaktiv: Er bekämpft Symptome, aber nicht die Ursachen. Waffenexporte, soziale Ungleichheit, Prekarisierung, Patriarchat oder Umweltzerstörung sind ebenso Teil der antifaschistischen Auseinandersetzung wie Rassismus oder Nationalismus. Denn Faschismus speist sich immer auch aus sozialer Spaltung, wirtschaftlicher Ausbeutung und globaler Konkurrenz.
Wenn der Kulturkampf zur Ablenkung wird

Rechte Bewegungen – allen voran die AfD und in Teilen die CDU – setzen gezielt auf einen sogenannten Kulturkampf. Sie inszenieren Auseinandersetzungen um Genderfragen, Migration, Sprache oder nationale Identität, um gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen.
Der Zweck liegt auf der Hand: Ökonomische Themen – also Armut, Wohnungsnot, Löhne oder Ungleichheit – sollen aus der öffentlichen Debatte verschwinden. Stattdessen wird die Gesellschaft entlang kultureller Linien gespalten. Wer diesen Kulturkampf annimmt und ausschließlich auf dieser Ebene reagiert, läuft Gefahr, das Spiel der Rechten mitzuspielen.
Antifaschistische Arbeit darf sich daher nicht darin erschöpfen, rechte Narrative auf kultureller Ebene zu kontern. Sie muss vielmehr den sozialen Kern dieser Konflikte freilegen: Warum sind Menschen empfänglich für autoritäre, ausgrenzende Botschaften? Welche Lebensbedingungen begünstigen solche Haltungen? Und wem nützt es, wenn Gesellschaften gespalten bleiben?
Fazit
Der Kampf gegen die AfD ist notwendig. Sie ist gegenwärtig die sichtbarste parlamentarische Kraft, die offen rassistische, antisemitische und autoritäre Positionen vertritt. Bürgerlicher Antifaschismus erfüllt hier eine wichtige Funktion, indem er demokratische Werte verteidigt und eine breite gesellschaftliche Front gegen rechte Normalisierung formiert.
Doch Antifaschismus darf sich nicht darauf beschränken, nur die AfD zu bekämpfen. Wenn antifaschistische Praxis sich ausschließlich um eine Partei oder um kulturelle Symboldebatten dreht, verliert sie ihren transformatorischen Charakter. Ein aktiver Antifaschismus muss tiefer gehen – hin zu den strukturellen Ursachen von Ausgrenzung und Ungleichheit.
Er muss soziale Gerechtigkeit, Kapitalismuskritik, Frieden, ökologische Nachhaltigkeit und internationale Solidarität miteinander verbinden. Nur so lässt sich verhindern, dass Faschismus immer wieder neue Formen findet – im Parlament, auf der Straße oder in ökonomischen Machtverhältnissen.
Schlusswort: Bürgerlicher vs. aktiver Antifaschismus
Bürgerlicher Antifaschismus richtet sich vor allem gegen rechte Parteien und Ideologien innerhalb des bestehenden demokratischen Systems. Er ist häufig moralisch und institutionell geprägt – durch Aufklärung, Protest und Verteidigung des Status quo. Damit trägt er zur Stabilisierung der Demokratie bei, bleibt aber in ihren Grenzen.
Aktiver Antifaschismus hingegen geht weiter. Er versteht Faschismus nicht als isoliertes Phänomen, sondern als Ausdruck gesellschaftlicher Macht- und Klassenverhältnisse. Er verbindet den Kampf gegen rechte Ideologien mit Kapitalismus-, Rassismus- und Patriarchatskritik und sucht konkrete Solidarität mit marginalisierten Menschen.
Antifaschismus ist mehr als moralische Haltung. Er ist gelebte Solidarität, gesellschaftliche Analyse – und letztlich der Versuch, die Verhältnisse so zu verändern, dass Faschismus keine Wurzeln mehr schlagen kann.
Quellenübersicht
- Die Linke Niedersachsen: Antifaschismus ist Bürgerpflicht https://www.dielinke-nds.de/start/aktuell/detail/antifaschismus-ist-buerger-innenpflicht-die-linke-niedersachsen-kritisiert-mitgliedsmagazin-der-poli/
- Spiegel Online: AfD im Bundestag – Antifaschismus muss Alltag werden https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-antifaschismus-muss-jetzt-alltag-werden-kolumne-a-1169921.html
- Antifa Tübingen: Broschüre zur AfD und antifaschistische Kritik https://www.antifa-tuebingen.org/wp-content/uploads/2022/09/Broschuere_AfD.pdf
- Der Freitag: Alarm-Antifaschismus – Die permanente AfD-Fixierung macht die Partei stärker https://www.freitag.de/autoren/wolfgang-michal/alarm-antifaschismus-permanente-afd-fixierung-aller-anderen-macht-diese-stark
- Rote Fahne News: Bürgerlicher Antifaschismus trachtet nach Führung über den antifaschistischen Kampf https://www.rf-news.de/2025/kw07/buergerlicher-antifaschismus-trachtet-nach-fuehrung-ueber-den-antifaschistischen–kampf
